Der Equal Pay Day bietet Unternehmen jedes Jahr eine wertvolle Gelegenheit, sich zu Lohngerechtigkeit zu positionieren und die Bedeutung gleicher Bezahlung hervorzuheben. Doch trotz dieser öffentlichen Bekundungen bleibt die Realität oft ernüchternd: Viele Unternehmen packen das Thema Entgeltgleichheit nur halbherzig an und schieben nachhaltige Veränderungen vor sich her.
Ein eindrückliches Beispiel verdeutlicht das Problem: Am 28.Oktober haben Männer in Österreich bereits so viel verdient, wie Frauen erst bis zum Ende des Jahres erreichen werden. Dieser „Lohn-Countdown“ sollte ein unmissverständlicher Weckruf für alle Unternehmen sein. Und obwohl der Grundsatz für gleiche Bezahlung bereits seit den römischen Verträgen im (europäischen)Primärrecht (Art 157 AEUV, damals noch Art 141 EGV) verankert ist, hat die Europäische Union 2023 nochmals nachgelegt, weil offenbar noch etwas zu tun ist.
Mit der neuen Entgelttransparenzrichtlinie („EU-Richtlinie2023/970“), die am 6. Juni 2023 in Kraft trat, wird es nun hoffentlich ernst: Die Lohnlücke soll geschlossen und mehr Transparenz in der Bezahlung geschaffen werden. Schließlich sollte die Frage „Wer verdient mehr?“ längst kein Ratespielmehr sein.
Die Entgelttransparenzrichtlinie geht den Ursachen des Gender Pay Gaps auf den Grund. In den Erwägungsgründen der Richtlinie wird darauf hingewiesen, dass Geschlechterstereotypen, horizontale Segregation und die ungleiche Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit – insbesondere von Pflege- und Betreuungsaufgaben – maßgeblich zum Lohnunterschied beitragen.
Die Richtlinie basiert auf zwei Kernprinzipien: erhöhter Entgelttransparenz und stärkeren Durchsetzungsmechanismen. Mitgliedstaaten haben bis zum 7.Juni 2026 Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen – eine Chance für Unternehmen, neue Standards zu setzen. Aber was bedeutet das konkret für Unternehmen und ihre Arbeitsweise? Und können wir in naher Zukunft tatsächlich vom Ende des Gender Pay Gaps sprechen?
Die Richtlinie gilt für alle Beschäftigten, die dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff (Art. 45 AEUV) entsprechen, der allenfalls etwas weitergeht als der österreichische, weil er auch „arbeitnehmerähnliche“ Personen betrifft. Der sachliche Anwendungsbereich erstreckt sich hingegen auf sämtliche üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle weiteren Vergütungen, die als Geld- oder Sachleistungen im Rahmen eines Dienstverhältnisses gezahlt werden.
Die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz verschärft mit der Beweislastumkehr die Rechtslage und ermöglicht Arbeitnehmer:innen eine effektivere Bekämpfung des Gender Pay Gaps.
Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden haben einer nationalen Behörde jährlich über den Gender Pay Gap zu berichten. Wenn dieser mehr als 5 % beträgt und nicht nach objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien gerechtfertigt werden kann, sind Unternehmen verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen. Dies umfasst eine gemeinsame Entgeltbewertung in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretungen.
Zukünftig müssen Bewerber:innen bereits in der Stellenbeschreibung oder in einem Vorstellungsgespräch über das Einstiegsgehalt oder die Entgeltspanne der ausgeschriebenen Position informiert werden. Außerdem ist es Arbeitgeber:innen künftig untersagt, nach der bisherigen Gehaltseinstufung und -entwicklung zu fragen.
Diese Neuerung könnte zu praktischen Herausforderungen führen– etwa, ob Arbeitgeber die Gehaltsinformationen proaktiv bereitstellen müssen oder ob Bewerber:innen sie aktiv erfragen können. Ein weiteres spannendes Detail: Die Mitteilung des Gehalts ist nicht bindend – es kann später im Vertrag noch (in beide Richtungen) verhandelt werden.
Für Bewerber:innen bleibt spannend, wie sie reagieren können und dürfen, wenn der/die potenzielle Arbeitgeber:in unzulässiger Weise nach der bisherigen Vergütung fragt. Den Bewerber:innen wird uE in diesem Kontext wohl ein „Recht zur Lüge“ zugebilligt werden müssen, wie dies auch bei (sehr privaten) Fragen nach dem Gesundheitszustand, Kinderwünschen oder etwaigen Vorstrafen der Fall ist.
Arbeitnehmer:innen haben das Recht, Auskunft über das durchschnittliche Entgelt von vergleichbaren Gruppen zu erhalten – und zwar aufgeschlüsselt nach Geschlecht. Dabei müssen die Kriterien, die zur Bestimmung des Entgelts und der Entgeltentwicklung herangezogen werden, objektiv und geschlechtsneutral sein und den Arbeitnehmer:innen zugänglich gemacht werden.
Unternehmen sind verpflichtet, klare Kriterien für „gleiche“ und „gleichwertige“ Arbeit zu definieren und ein geschlechtsneutrales Bewertungssystem zu etablieren.
Die bloße Aufdeckung von Entgeltdiskriminierung reicht leider nicht aus, um den Grundsatz der Entgeltgleichheit tatsächlich durchzusetzen. Ausdiesem Grund enthält die Entgelttransparenzrichtlinie etliche Mechanismen, die eine (gerichtliche) Durchsetzung erleichtern sollen. Ein Teil dieser Rechte ist bereits jetzt im österreichischen Recht verankert: Schon bisher konnten Betroffene Schadenersatz bei Entgeltdiskriminierung fordern. Zudem durften Arbeitnehmer:innen aufgrund der Geltendmachung weder gekündigt, entlassen oder sonst benachteiligt werden (§ 13 GlBG).
Die Rechte der Arbeitnehmer:innen werden gestärkt: So ist nun eine Beweislastumkehr vorgesehen. Bisher mussten Arbeitnehmer:innen die Diskriminierung glaubhaft machen (§ 12 Abs 12 GlBG), was oft schwierig war, da die relevanten Informationen meist bei den Arbeitgeber:innen lagen. Zukünftig haben daher Arbeitgeber:innen im Streitfall nachzuweisen, dass sie nicht gegen die Entgelttransparenzvorschriften verstoßen haben.
Zudem sieht die Richtlinie eine Verjährungsfrist von drei Jahren ab Kenntnis des Verstoßes vor, was bereits jetzt der österreichischen Rechtslage entspricht.
Die EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz verschärft mit der von ihr vorgesehenen Beweislastumkehr die Rechtslage und ermöglicht Arbeitnehmer:innen eine deutlich effektivere Bekämpfung des Gender Pay Gaps. Arbeitgeber:innen müssen sich nicht nur fragen, ob ein Lohngefälle existiert, sondern auch, wie sie Maßnahmen ergreifen können, um dieses zu verhindern. Außerdem werden eine Vielzahl bisheriger HR-Prozesse – insbesondere im Rahmen von Stellenausschreibungen und Bewerbungsgesprächen – zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu gestalten sein; nicht zuletzt um compliant zu sein, aber andererseits auch um allfälligen Gerichtsverfahren vorzubeugen.
Unternehmen, die sich frühzeitig mit den neuen Anforderungen auseinandersetzen, haben unseres Erachtens aber nicht nur einen klaren Wettbewerbsvorteil bei der Umsetzung der Richtlinie, sondern werden – wie uns aus unserer Beratungspraxis berichtet wird – auch als attraktivere Arbeitgeber:innen wahrgenommen.
Kann die Entgelttransparenzrichtlinie tatsächlich das Ende des Gender Pay Gaps einläuten? Es bleibt abzuwarten, aber die Weichen für eine transparentere Arbeitswelt sind gestellt. Die Zeit, in der Lohnunterschiede aus Beweisschwierigkeiten einfach hingenommen werden mussten, scheint endgültig vorbei zu sein.
Unser Team unterstützt Sie gerne bei der Erstellung transparenter und fairer Entgeltmodelle!
Tipp: Zu diesem Thema empfehlen wir auch unsere passende Podcastfolge aus Legal Leading – der Arbeitsrecht Guide zum Thema Gleichbehandlung und #MeToo. Hören Sie rein, um weitere spannende Einblicke und Beispiele zu erhalten!
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